Freitag, 20.03.

Da ich ja nun so richtig eine Angeklagte vor Gericht war und diese Bürgschaft an der Backe hatte, kam die Frage auf, ob ich überhaupt so einfach aus Ghana ausreisen darf.
Deshalb hat mich Dani gleich am Freitag morgen zum Botschaftsarzt geschickt, damit der mir eine Bescheinigung ausstellt, dass ich aus gesundheitlichen Gründen jetzt erstmal nach Deutschland müsse.
Danach haben wir uns alle in der Botschaft getroffen.
Zu der Zeit damals habe ich das komplette Ausmass ehrlich gesagt nicht so ganz umrissen, ich kam mir manchmal nur wie ein unbeteiligter Zuschauer vor, mir war nicht richtig bewusst, dass es dabei immer um mich/uns ging.
Der Botschafter wurde über die gestrige Verhandlung informiert und Dani hatte dann nur eine ihm wichtige Frage dazu.
Kann die Sicherheit für mich noch garantiert werden, dass ich nicht ins Gefängnis muss?
Diese Sicherheit konnte man uns nicht geben und damit war eigentlich die Entscheidung gefallen.

Gesagt habe ich wohl bei dem Treffen nicht viel, statt Worten bei mir kamen meist nur Tränen.
So haben dann die anderen alles in die Hand genommen und haben Dani´s Wusch entsprochen:
Sofortiger Abbruch in Ghana und heim nach Deutschland.
Da keiner sagen konnte, wie die rechtliche Lage ist, was die Ausreise angeht, wurde beschlossen, dass niemand in unser Vorhaben eingeweiht wird.
Auf gut Deutsch - wir hauen heimlich ab, keiner erfährt es vorher.

Allen war klar, dass ich jetzt so schnell wie möglich zurück will, wenn es geht noch heute oder dann am Wochenende.

Wie schon mehrmals gesagt, in diesem Moment war mir nicht bewusst, was das alles bedeuten wird, was nun in den nächsten Stunden und Tagen passiert.
Das einzige, was ich noch an Halt hatte, waren Dani, der sich kümmerte und die Packung Pillen in meiner Handtasche.

Aber es gab erstmals wieder einen Plan, und wenn es mal nur für die nächsten 3 Tage war.

Nach der Unterredung sind wir aus dem Büro des Botschafters und draussen auf dem Flur lief mir noch jemand über den Weg, der über unsere Probleme im Bilde war und ich habe nur weinend gesagt "Wir gehen"
Wir haben uns umarmt und da hatte ich zum ersten Mal das Gefühl von Endgültigkeit, da bekam ich einen Schimmer von einer Ahnung, was mir in den nächsten Stunden noch bevorstehen würde.

Direkt von der Botschaft sind wir in die Schule gefahren, denn es war an der Zeit, die Kinder abzuholen. Für mich zum letzten Mal.............

Dani hat mich mit einer Cola im Hüsli abgesetzt und mir noch das Versprechen abgenommen, mich ganz dolle zusammenzureissen und nichts zu sagen. Einfach so zu tun, als wäre alles wie immer.
Er wusste schon, was er da verlangte, ich habe ihn auch dafür gehasst, aber es ging halt nicht anders.
Dann ging er nebenan zur Lufthansa und wollte meinen Sommerflug umbuchen auf den nächstmöglichen Termin.
Mir schien die Zeit endlos, ich habe nur gehofft, es spricht mich niemand an.
Vielen war natürlich schon seit geraumer Zeit aufgefallen, dass ich nicht mehr ich selbst war, einige waren teilweise informiert, was vorgefallen war, deshalb fiel es nicht so sehr auf, dass ich total verweint aussah. Und wenn mich jemand fragte, was los sei, dann genügte auch die Antwort, dass mal wieder alles sch***** läuft.
Dann kam Bettina ins Hüsli, setzte sich zu mir. Sie fragte gar nicht erst, vielleicht hat sie etwas geahnt, wir haben auch nicht viel geredet, uns nur angesehen. Dann kam noch der, von dem ich mich kurz vorher schon in der Botschaft verabschiedet hatte, wir haben uns nur Blicke zugeworfen, geredet hat dann keiner mehr am Tisch.
Bettina meinte nur später mal zu mir, zu diesem Zeitpunkt wusste sie, dass es nicht gut ausgegangen ist und konnte es nur schwer ertragen.
Sie wollte dann auch so schnell wie möglich nach hause, ich habe sie nur noch gebeten, am nächsten Tag nochmal bei uns vorbeizukommen. Auch wenn wir versprochen hatten, niemandem davon zu erzählen, ich konnte nicht gehen und mich wenigstens von meiner besten Freundin zu verabschieden.
Und dann kam Dani wieder von Lufthansa und ich fragte nur flüsternd: "Wann?"
Dani meinte: "Sonntag"
Damit blieben mir noch genau 54 Stunden in Ghana.
Darüber nachdenken konnte ich nicht mehr, dann kamen die Kinder und ich wollte nur noch da raus.
Ohne jemanden eines Blickes zu würdigen, bin ich raus zum Auto.
Nur der Hortnerin habe ich noch die Hand gegeben und etwas länger festgehalten als üblich - sie hatte feuchte Augen.......

Auf dem Heimweg habe ich erst mal meinen Tränen freien Lauf gelassen und Dani gefragt, wann er denn mit den Kindern nachkommen will.
Er meinte nur, wir fliegen alle zusammen, er will auch keine Tag länger bleiben.
Ich sah vor meinem inneren Auge, wie sich die Kinder wenige Minuten zuvor lachend freudig von ihrem Kumpels verabschiedet hatten, sich auf die nächste Woche freuten, wenn sie alle wiedersehen und es verkrampfte sich alles in mir bei dem Gedanken, dass sie wohl keinen so schnell, wenn überhaupt, wiedersehen.

Mein Nachmittag bestand aus Weinen und Schlafen.
Am liebsten hätte ich aber nur laut geschrieen, meine ganze Verzweiflung, Wut und Trauer laut in die Welt geschrieen.
In klaren Momenten kamen dann Fragen auf, was mit all unserem Zeug hier passiert, was wir zurücklassen müssen.
Ich hatte nicht die Kraft und Konzentration, bei der Organisation wirklich hilfreich zu sein.
Meine Traurigkeit war einfach zu groß, hinzu kam der Abschiedsschmerz.
Uns gingen 1000 Dinge durch den Kopf, was noch zu tun wäre. Aber weil keiner davon wissen sollte, auch die Kinder nicht, schoben wir alles auf, wollten dann am Sonntag alles tun, weil da auch vom Personal keiner da wäre.
So hatten wir widersprüchlicherweise viel Zeit zum Rumsitzen.
Aber in so einer Situation ist rumsitzen tödlich, deshalb hatte ich die wahnwitzige Idee, am Abend ins Surfer´s Inn zum Essen zu fahren.
Dani schaute mich wirklich komisch an, ob ich jetzt kurz vorm Durchdrehen wäre.
Aber in meinem Kopf herrschte überraschenderweise völlige Klarheit und ich wollte es einfach. Wir bekommen Ablenkung, ich sehe nochmal Menschen, die ich gern mag und kann ganz heimlich für mich meinen Abschied vom Surfer´s haben.
Von einem Ort, wo wir so unzählige Male essen waren, uns klasse unterhalten hatten und Leute getroffen haben.

Meine Pillen hatte ich eh durchweg genommen, damit meine nach aussenhin *Mir-ist-alles-egal-Stimmung* bloss nicht unterbrochen wird und damit kann ich locker einen Abend so tun, als wäre nichts.
Von dort aus habe ich dann noch Gretchen angerufen und sie gefragt, ob sie vielleicht April bei sich aufnehmen wollen, habe ihr erzählt, dass wir in Tagen für immer gehen.
Ausserdem wollte ich auch sie nochmal sehen und mich verabschieden.
Sie versprach mir, mit ihrer Familie Samstag bei uns vorbeikommt.
Nach einem wie immer sehr guten Essen war es aber dann Zeit, zu gehen und wieder war es so ein Moment, wo man sein Herz richtig schreien hören kann, wenn man zum letzten Mal das Lokal verlässt und sich bis "Demnächst" verabschiedet.

Beim Schreiben jetzt merke ich, dass ich doch einige Dinge wirklich schon vergessen habe, anderes ist noch so allgegenwärtig, dass es beim Schreiben sehr weh tut, sich daran erneut zu erinnern, die Augen werden heute noch feucht, wenn ich manches vor mir sehe.
Warscheinlich werden diese Gefühle nie in Vergessenheit geraten, sie waren wohl zu intensiv und haben sich tief in mein Gedächtnis eingebrannt.

Eigentlich wollte ich jetzt noch ein wenig weiterschreiben, aber ich möchte lieber erstmal wieder aufhören, mich zu erinnern.
Ich werde das Geschriebene auch nicht nochmals durchlesen und Fehler rausmachen, also wer welche findet und drüber meckern will, der sollte sich darüber im Klaren sein, dass mich retrovaginale Gefühlslegasthiniker peripher tangieren!


1 Kommentar:

Anonym hat gesagt…

Sylvia,
vergessen wirst Du nie -aber nach einer langen Zeit wird es wird nicht mehr weh tun, vertraue darauf!
Sei tapfer!
Liebe Grüsse Annelies