Donnerstag, 19.03.

Ich habe jetzt eine ganze Weile darüber nachgedacht, was ich denn in der Zeit vom 14.3. bis 18.3. gemacht habe.
Aber ehrlich gesagt - ich weiss es nicht mehr.
Mir ist, als hätte es diese Tage nicht gegeben.
Sicherlich habe ich da die Kinder morgens in die Schule gefahren, sie wieder abgeholt, war bestimmt auch mal einkaufen, aber ich kann mich nicht mehr daran erinnern.
Warscheinlich habe ich einfach so in den Tag hineingelebt, gewartet, bis Abend ist, versucht, etwas Schlaf zu finden.
So sehr, wie ich vor dieser Verhandlung Angst hatte, so wenig konnte ich es aber auch kaum erwarten, dass Donnerstag ist und sich spätestens dann alles als böser Scherz herausstellt.
Ja, so blöd war ich damals noch, an sowas zu glauben.

Eine genaue Zeit, wann die Verhandlung stattfindet, hatten wir ja leider nicht, aber unser Anwalt meinte, wir sollen gleich beizeiten da sein, er will versuchen, dass mein Fall gleich mit zu Anfang verhandelt wird.
Zu Viert (Daniel, ich, der Anwalt und die Prozessbeobachterin) haben wir uns dann auf die Suche nach der Baracke gemacht. Ja, richtig gelesen - Baracke.
Ich mag mich jetzt nicht genauer darüber auslassen, wie es da drinnen aussah, ich bin froh, dass meine Angst damals größer war als mein Ekel.
Wir haben uns also erstmal mitten in die ganzen Leute reingequetscht, es war heiss, es war stickig, der Sauerstoffgehalt drinnen tendierte gen Null.
Ganz vorn an seinem Pult sass "My Lord" und begann, "Recht" zu sprechen.
Ein Fall nach dem anderen wurde aufgerufen. Wann immer er gerade einen Fall beendet hatte, stieg es heiss und kalt in mir auf, mein Herz rutschte nach unten und ich war hin- und hergerissen, ob ich nun wirklich als nächstes meinen Namen hören wollte, der aufgerufen wird.
So ging das für mich ewig, doch ich wurde nicht aufgerufen.
Ich weiss nicht, wie ich diese Anspannung beschreiben soll, die ich bei der stundenlangen Warterei hatte. Es ist schwer, das zu erklären und eigentlich möchte ich mir jetzt beim Schreiben diese Gefühle auch nicht noch einmal bewusst machen, es war einfach eine riesige Qual.
Natürlich wurde zwischendrin dann mal Pause gemacht, ohne Info, wann es weitergeht.
Schön, dass "My Lord" sein Mittag bekommt.
Wir haben uns gerade mal getraut, schnell raus zum Auto zu gehen und uns eine warme Cola zu holen. Viel länger mag man nicht wegbleiben, aus Angst, man kommt zu spät zurück.

Irgendwann dann hörte ich doch meinen Namen und ich ging zu diesem Zeugenstand. Das war so ein rundherum geschlossener Holzkasten, etwa hüfthoch, so knapp 1x1 m groß. Ich stellte mich brav da rein und zeitgleich mit mir wurde auch Christine aufgerufen und quetschte sich auch noch mit rein.
Da stand ich nun schräg hinter dieser Frau, so nah, wie ich sonst eigentlich nur sehr wenigen Menschen sein möchte - diese Frau gehörte definitiv nicht dazu. Mir zitterten schon wieder die Hände, meine Beine fühlten sich an wie Pudding.
Ich sah nur zu Dani und deutete ihm mit einem Kopfschütteln, dass ich das vielleicht nicht sehr lange ertragen kann. Er flehte mich mit seinem Blick an, bitte durchzuhalten.
Was genau dann alles vom Richter gesagt wurde, weiss ich ehrlich gesagt nicht mehr. Ich habe auch nicht wirklich hingehört, ich hätte es wohl eh nicht verstanden. Das lief alles wie ein schlechter Film vor mir ab.
An einzelne Dinge kann ich mich aber erinnern, so dass man es z.B. nicht für notwendig hielt, dass ich einen Dolmetscher brauche, da ich betonte, mein Englisch sei nicht gut genug, um das hier alles zu verstehen.
Die Staatsanwältin hat dann ihre Anklage verlesen, von dem, was da am 23.12. passierte, war rein gar nichts mehr übrig. Nun war ich Täter und Christine Opfer. Von meinen Verletzungen war keine Rede mehr. Wobei es nun irgendwie komisch scheint, dass Christine gemeinsam mit mir, der Täterin, im Zeugenstand stehen musste.
Absolut verkehrte Welt, das Ganze.

Wie mein Anwalt vorher geraten hatte, bekannte ich mich natürlich "nicht schuldig".
Ja was auch sonst.
Dann versuchte mein Anwalt, unsere Version der Geschichte vorzulesen, aber er wurde immer wieder unterbrochen und ausserdem fanden die im Gericht Anwesenden das alles sehr lustig. Sie lachten mich aus! Und das habe ich mir nicht nur eingebildet.
Der Richter sagte zwischendrin immer wieder etwas, ich habe es nicht verstanden, aber scheinbar kannte er einige Dinge wie z.B. meinen medizinischen Bericht gar nicht.

Das schien aber für ihn auch nicht wirklich von Interesse, denn er fragte dann die Staatsanwältin, wo bei diesem Fall eigentlich das öffentliche Interesse wäre.
Das alles war in einem privaten Haushalt passiert und somit kein Fall für die Staatsanwaltschaft.

In diesem Moment fühlte ich so etwas wie Erleichterung, hatte Hoffnung, dass diese windige Anklage einfach abgewiesen wird.
Dieses Gefühl hielt an, bis der Richter zur Staatsanwältin folgendes sagte:

"So, jetzt schreiben Sie mal die Anklage um, so dass dann öffentliches Interesse besteht und dann sehen wir uns alle am 9. April wieder"

Ich kann heute nicht mehr sagen, wann mir die Bedeutung des gerade Gesagten so richtig bewusst wurde, ich wusste nur, es bedeutet nicht Gutes, aber für heute war die Tortur erst mal vorbei. Ich wollte jetzt nur noch so schnell wie möglich raus aus diesem Zeugenstand, aus dieser Baracke.
So halb bekam ich noch mit, dass der Richter so eine Art Kaution verhangen hat, um sicherzustellen, dass ich am 9.4. auch wirklich wieder zu Gericht komme.
Christine hatte es nicht so eilig wie ich, so habe ich mich an ihr vorbeigequetscht und bin zur Tür raus und habe mich erst mal draussen unten auf den Boden gehockt. Meine Knie waren weich, ich hätte keine Minute länger stehen können.
In meinem Kopf drehte sich alles, ich hatte nun auch an dem Tag bei der Hitze nicht genug getrunken, der Kreislauf war wohl bissel am Boden. So habe ich gar nicht mitbekommen, dass mir ein Polizist mit Waffe hinterher ist, denn ich hatte nicht das Recht, das Gebäude einfach zu verlassen, denn schliesslich war die Bürgschaft für die Kaution noch nicht unterschrieben.
Dani versuchte, alle zu beruhigen und zu erklären, dass ich nur an die frische Luft wollte.
Aber irgendwie hegten die wohl den Verdacht, ich wolle abhauen.
Draussen erklärte uns dann unser Anwalt erstmal, wie es nun weitergeht.
Ich bräuchte nun jemanden, der dafür bürgt, dass ich am 9.4. bei Gericht erscheine, wenn nicht, dann muss dieser Bürge 2000 GHC zahlen. Natürlich hat Dani sich dazu bereiterklärt.
Dann meinte unser Anwalt, wenn das erledigt wäre, dann würde einer der Polizisten mit zu uns nach Hause fahren, um zu sehen, wo wir wohnen.
Dann meinte der Anwalt noch folgendes:
"Wenn ihr mit dem Polizisten bei Euch seid, schaut der sich im Grundstück um, er wird nicht ins Haus gehen. Dann gebt ihr ihm einfach ein bischen Geld."
Mir erschliesst sich bis heute nicht der Sinn, warum man dem Polizisten Geld geben sollte.
Selbst wenn wir hätten bestechen wollen, dann aber doch nicht den Polizisten, der eh nichts zu entscheiden hat, oder?
Dann sind wir alle zu dem Office gegangen, in dem die Bürgschaften erstellt werden.
Da es nun schon Nachmittag war, war leider der zuständige Officer nicht mehr da.
Es wusste aber auch keiner dort, wo er hingegangen ist, ob er heute überhaupt noch mal wiederkommt.
Beiläufig erwähnte unser Anwalt, dass man die Bürgschaft auch morgen unterschreiben könne. Allerdings muss ich bis dahin ins Gefängnis.
Wie bitte???
Ich dachte wirklich, ich habe mich verhört.
Hätte ich zu diesem Zeitpunkt nicht ordentlich unter dem Einfluss von Beruhigungsmedikamenten gestanden, weiss ich nicht, ob ich das dann so relativ gefasst aufgenommen hätte.
Und das war dann bei mir wohl auch der Zeitpunkt, an dem ich mein Hirn abgeschalten habe und einfach nichts mehr an mich herangelassen habe.
Wie hinter einem Nebelschleier bekam ich die Diskussionen, vorallem von Dani, mit, was man tun könne, um noch heute, jetzt und hier diese verdammte Bürgschaft zu unterschreiben.

Das war die einzigste Möglichkeit, dass ich nicht eingesperrt werde, denn laut Auskunft der Prozessbeobachterin der Botschaft, gibt es keinerlei handhabe, mich aus den Gefängnis rauszuholen.

Ich weiss nicht, wie lange die Warterei dann noch gedauert hat, irgendwann hiess es, wir können die Bürgschaft unterschreiben.

In einem winzigen Büro, das voll von Menschen war, gab Dani Personalien an, es ging alles sehr schnell, er hatte nicht mal die Zeit, sich durchzulesen, was er da unterschrieb. Er wollte nur so schnell wie möglich den Stempel darunter haben, bevor es sich noch jemand anders überlegt.

Dann sind wir nur noch raus , ins Auto und weg von dort.

Keine Ahnung, ob ich noch mit in der Schule war, um die Kinder abzuholen oder nicht.
Bewusst kann ich mich dann erst wieder erinnern, dass ich auf unserer Terrasse sass, erstmal eine kalte Cola getrunken habe, in Ruhe eine Zigarette geraucht habe und dann weinend zusammengebrochen bin.
Statt Taschentuch habe ich mir dazu gleich ein Handtuch genommen.

Ich wusste absolut nicht, wie es nun weitergehen sollte, ich fand alles zu unglaublich, als dass man das irgendwie planen könnte.
Ich wusste nur, dass ich jetzt dringend Ruhe und Abstand brauche.
Deshalb habe ich Dani darum gebeten, den nächsten möglichen Flug für mich zu buchen, ich wollte gern für 2 Wochen nach Deutschland zu meinen Eltern, zu einer Freundin.

Ich hoffte, durch diese Auszeit bissel Kraft zu tanken, die Gedanken etwas zu ordnen und zur Ruhe zu kommen.

Ich wollte bis 9.4. sicher wiederkommen, wollte mich der nächsten Verhandlung stellen, es konnte einfach nicht sein, dass sich nicht aufklärt und gerecht ausgeht.

Dani rief noch seinen Chef an, er kam auch sofort zu uns, erfuhr da die neueste Entwicklung und organisierte gleich für den nächsten Morgen ein erneutes Treffen beim Botschafter, damit man gemeinsam beraten kann, wie es weitergeht.

Dank der Beruhigungsmittel konnte ich nach einer ausgiebigen Dusche und mit der Vorstellung, in den nächsten Tagen nach Deutschland zu fliegen, einschlafen und traumlos durchschlafen.

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